Novellen und Erzählungen : Band 3 : Flöten und Dolche (1903) by Heinrich Mann

Novellen und Erzählungen : Band 3 : Flöten und Dolche (1903) by Heinrich Mann

Autor:Heinrich Mann [Mann, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Werke, Einzelband
Herausgeber: Albert Langen
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


IV.

Die Tat

Er saß in der Dämmerung und erwartete sie. Sie war auf ein Stündchen nach Haus, um mit ihrer Gesellschafterin zu sprechen, die sie in Toilettefragen zur Stadt geschickt hatte. Der Sommer war zu Ende, ein kühler Hauch kam aus dem Garten, die tote Zypresse ragte ohne ihre Schleier von Glyzinien, entblößt und drohend. Malvolto legte sich vornüber, das Gesicht in die Hände, und dachte an Gemma, unbegreiflich beklommen.

Plötzlich wußte er, sie sei da. Kein welkes Blatt hatte geraschelt. Sie stand, dunkel und scharf, in dem bleichen Rahmen der geöffneten Terrassentür.

Sie kam langsam herbei – er tat einen Atemzug bei jedem ihrer Schritte – und stellte sich zwischen seine Kniee, mit herabhangenden Armen, ohne ihn zu berühren. Er sah ihr Gesicht über seinem planen, verhalten schimmernd unter dem Schleier des Abends, eines Abends, der ihn beunruhigte, als sollte er sich nie mehr lichten. Und die beiden Augen über ihm, groß und schwarz, erblindend in Nacht, heiß von verdeckter Glut – er hielt sie für zwei Krater, ihm weit geöffnet. Sie kamen ihm langsam näher, ganz nahe, es ward ein einziger daraus, über dessen Rand er sich beugte, schwindelnd und verlockt zu tiefen Lüsten. Da berührte Gemmas Wange die seinige, und Gemma flüsterte:

»Lieber, wir müssen sterben.«

Er drückte als Antwort nur ein wenig fester seine Wange an ihre. Sie hatte ihm nichts neues gesagt. Er hatte ihre Worte kommen fühlen, den ganzen Weg von ihrem Hause zu seinem. Nein, noch viel weiter kamen sie her: aus jener ersten Nacht, da sie sich ihm gegeben hatte! Sie hatten beide von jeher gewußt, daß nach ihren Umarmungen nichts mehr übrig sein werde als Sterben. In ihrer Liebe war der Tod von Anfang an mit eingeschlossen. Sie hatten gesagt »Für immer«; und die längste Zeit des Immer, wußten sie, war Tod.

Sie hatte ihn um die Schultern gefaßt, und er sie. Sie fühlten einen krankhaften Zauber sie einwiegen, sie ertränken und auflösen. Rings um sie her lösten die Formen und die Farben sich auf, die ein Tag den Dingen geliehen hatte.

Malvolto arbeitete sich mit Anstrengung empor, an die Oberfläche eines schwarzen Wassers. Er fragte:

»Aber weshalb? was ist geschehen?«

Gemma lächelte; sie trat von ihm weg und sagte leichthin:

»Mein Gott, man hat uns photographiert.«

»Uns –«

»Ja. Unser Bild geht in der Stadt von Hand zu Hand. Es soll sehr gut gelungen sein. Ich stehe auf der Terrasse und du liegst vor mir.«

»Du bist – nackt?«

»Und du, Armer, hast auch nicht viel an.«

»Unerhört! Das ist doch unerhört, wenn ich mich doch vergewissert habe, daß von keinem Punkt der ganzen Umgebung meine Terrasse zu entdecken ist! Es muß vom Garten aus geschehen sein. Das kann nur Niccolo, mein Diener, gewesen sein – oder es war deine Gesellschafterin. Ich will doch –«

Und er wollte zur Tür. Gemma faßte seinen Arm.

»Sage, geht das uns noch etwas an, wer es getan hat? Ein namenloser Vorübergehender. Wir wollen unsere Augenblicke sparen, und uns noch lieben.«

Er kam zurück, auf einmal beruhigt.

»Du hast recht. Wie hast du’s erfahren?«

»Meine Gesellschafterin hat das Bild gesehen, bei zwei Damen, in einem Laden, wo man sie nicht kannte.



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